Nach den Landtagswahlen wird es für mich Zeit, in Thüringen nach dem Rechten zu sehen. Zeit für die Landeshauptstadt Erfurt. Wenn überhaupt, ist Erfurt die Stadt, in der sich die von Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften verwirklicht haben – und das nicht nur wegen der Bundesgartenschau 2021. Plakate in jeder Straße beschwören die Weltoffenheit, der Umzug zum Christopher Street Day ist ohne besonderen Polizeischutz möglich. Studierende aus allen Ländern der Welt sorgen für ein buntes, junges Stadtbild. Menschen mit Migrationshintergrund bedienen in den Biergärten und sorgen für saubere Toiletten.

Dank relativ geringer Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg konnte Erfurt sein historisches Stadtbild weitgehend bewahren. Hier ist es nicht nur an einer Ecke schön, sondern überall. Im Mittelpunkt die Krämerbrücke aus dem 12. Jahrhundert als längste durchgehend mit Häusern bebaute und bewohnte Brücke Europas. Noch heute kann man in den kleinen, individuellen Geschäften auf der Brücke kramen und viel Geld für Außergewöhnliches ausgeben. Unzählige Türme von Kirchen und Klöstern stehen für die vielseitige Religionsgeschichte Erfurts. Am berühmtesten das Augustinerkloster: Hier wurde Luther 1505 zum Mönch und lebte als Bruder Martin sechs Jahre unter den strengen Regeln des Bettelordens – so etwa das Schweigegelübde und die Gebete, die kaum Raum für Schlaf gaben. Um diese Kulturschätze wurde sich bereits zu DDR-Zeiten gekümmert.

Auch politisch stand Erfurt oft im Fokus. Nach der Revolution fand 1850 das Erfurter Unionsparlament statt, um Deutschland demokratisch zu vereinigen. Das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen 1970 wurde im Erfurter Hof veranstaltet, eingerahmt vom Jubel der Erfurter für Willy Brandt. Die Geschichte hat auch Schattenseiten: Thüringen war das erste Land, in dem die NSDAP 1930 an der Regierung beteiligt war. Hier übten die Nationalsozialisten die Mechanismen, die in den Folgejahren überall in Deutschland angewendet wurden. Bei der Landtagswahl 2024 kam die AFD in der Stadt Erfurt bei einer Wahlbeteiligung von 75,2 Prozent auf 23 Prozent und wurde damit auch dort zur stärksten Kraft. Ich weiß auch nicht, woran das liegt…

Avatar von Christina Rasokat

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