Ein schöner Ort, wie er da so menschenleer in der Sonne liegt, in Kirchohsen vor den Toren Hamelns. Ein sanfter Hügel, dessen Länge und Höhe man erst beim Anstieg wahrnimmt. Von 1933 bis Kriegsbeginn 1937 fanden hier im Oktober die Reichserntedankfeste der Nazis statt. Um das christliche Fest des Erntedank ging es allerdings wenig.

Ziel war die Einübung der Volksgemeinschaft im Fest. Unvorstellbare 600.000 Menschen standen dicht gedrängt auf dem Bückeberg. Zum Vergleich: Bei Deutschlands größtem Konzert in Wacken sind es nur ein Zehntel! Die Massen und deren Inszenierung erzeugten eine euphorische Stimmung. Hitler präsentierte sich, auf einem erhöhten Mittelweg durch die Menschen, als ein nahbarer, freundlicher Führer – ganz im Gegensatz zu seinen brutalen Schergen. „Wenn das der Führer wüsste!“, dieser Satz drückt aus, wie tief die Inszenierung von Hitler als menschlicher Volkskanzler verwurzelt war. Zum Fest gehörten auch militärische Aktionen, bei denen ein „Bückedorf“ aus Pappmaché vernichtet wurde. Das sollte die Bevölkerung an Kriegshandlungen gewöhnen. Nicht alle waren eingeladen – jüdische Mitbürger durften nicht teilnehmen und Mitglieder anderer politischer Parteien wurden in „Schutzhaft“ genommen.

Der Bückeberg ist ein Baudenkmal, was sich auf den ersten Blick nicht erschließt. Hier wurden nicht nur Menschen, sondern auch viel Erde bewegt. Es war der erste Auftrag für Albert Speer, der aus der Wiese ein Amphitheater formte – als Arena, in der die Volksseele zum Kochen gebracht wurde. Es wurden Tribünen, Parkplätze, Wege und Treppen angelegt, um die Menschen von allen Seiten zum Bückeberg strömen zu lassen. Lautsprecher sorgten dafür, dass alle Teilnehmenden die Rede von Hitler hören konnten, durch die Übertragung via Volksempfänger und die in den Medien veröffentlichten Bilder wurde ganz Deutschland in die Veranstaltung einbezogen. Nicht von ungefähr war die Propaganda ein wesentlicher Baustein der NS-Diktatur. Nur mit einer Volksgemeinschaft, die hinter dem Regime stand, konnten die Pläne umgesetzt werden. Auch die Hamelner folgten dem Rattenfänger willig.

Heute sind wieder Rattenfänger unterwegs. Ob man ihnen folgt, hat jede und jeder Deutsche selbst in der Hand. Wohin es führen kann, lehrt die Geschichte. Darum sind Dokumentations- und Lernorte wie der Bückeberg so wichtig.

Weitere Informationen auf der Webseite Dokumentations- und Lernort Bückeberg (bueckeberg-ggmbh.de) Unter News etwas zur Ausbildung der neuen Guides, zu denen ich hoffentlich auch bald gehöre.

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4 Antworten zu „Der Rattenfänger auf dem Bückeberg”.

  1. Avatar von ingoterme
    ingoterme

    Danke für diese Story. Habe noch nie davon gehört. Liebe Grüße aus Freiburg. 😉

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    1. Avatar von Christina Rasokat

      Sehr gerne! Die Nazis trieben nicht nur in Nürnberg ihr Unwesen.

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  2. Avatar von meschrich62
    meschrich62

    Danke Christina, wie gut diese Geschichte immer wieder in Erinnerung zu bringen. Wenn du dort Guide bist komme ich vorbei.

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    1. Avatar von Christina Rasokat

      Liebe Martina,
      wenn ich nicht gekürt werde, bekommst du auf jeden Fall eine Privatführung.

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